Mein Kursbericht vom „Dörte Bialluch Frühlingskurs“ im April 2017 in der Reitschule Neuental.
Wie viel Hilfe braucht mein Pferd und welche Sprache sprechen wir?
Über diese Fragen dachte ich am Ende des ersten Tages noch einige Zeit nach.
Mit einer gut gefüllten 40 Minuten Theorie Einheit begrüßte uns Dörte zum ersten Kurs in diesem Jahr in der Reitschule Neuental.
Nachdem festgestellt wurde, dass alle Teilnehmer schon Erfahrungen in der Reitkunst gesammelt haben, ging Dörte auf die Herausforderung einer gemeinsamen Sprachfindung ein.
Dabei verdeutlichte sie, dass jeder Mensch ein anderes Bild, eine andere Vorstellung von einer Bewegung oder einem Gefühl hat und dass dieses „Bild“ sich in der Sprache mit „unserem“ Pferd widerspiegelt. Daraus resultiert auch, dass eine alleinige Ausbildung eines Pferdes von einem Fremdbereiter oftmals für den eigentlichen Reiter nicht sehr hilfreich ist. Natürlich können bestimmte Hilfen einem Pferd beigebracht werden, es ergibt aber wenig Sinn dem Pferd eine Sprache beizubringen, die der Besitzer dann nicht sprechen kann. Von daher ist es wichtig, dass der Mensch genauso wie das Pferd lernt diese neue Sprache zu lernen.
Hatte Dörte im letzten von mir besuchten Seminar ihren Schwerpunkt auf die Hilfengebung aus dem Sitz heraus gelegt, so kamen wir dieses Mal immer wieder auf die Arbeit mit den Paraden zu sprechen.
Aber was nützt einem das beste Wissen um die Parade, wenn das Pferd abgelenkt ist und immer etwas anderes gerade wichtiger ist als wir? Ein feines Einsetzen der Hilfen geht nur dann, wenn das Pferd uns im Fokus hat und wir im Fokus haben was wir wollen. (Dabei ging mir einer der typischen Bent Sprüche durch den Kopf: „Menschen wissen nicht was sie wollen, aber sie wollen es jetzt.“)
Wenn der Geist des Pferdes immer wieder abgelenkt ist, dann muss ich was verändern. Aber was kann das sein? Vom Fingerschnalzen über in die Hocke gehen, auf einem Hocker sich groß machen bis hin zu sich mit Rettungsdeckenfolie einwickeln um nonverbal Emotionen wie Konzentration, Freude oder Überraschung etc. auszudrücken… es sind keine Grenzen gesetzt, um das Pferd auf uns zu fokussieren.
Wenn die Arbeit an sich störend ist, dann mussen die Arbeit oder die Umstände des Arbeitens überdacht werden. Ist das Pferd nun im Fokus bei uns können wir es in seinem Körper formen. Dörte gab als Beispiel, dass ein Pferd welches keine Form annehmen kann, sich auch nicht auf einer Linie führen lässt. Zirkel werden zu Eierpflaumen, wenn ich nicht die Hinterbeine platzieren, die Vorhand bewegen, oder den Kopf exakt auf der Linie zwischen den Vorderbeinen ausrichten kann. Welch große Auswirkung diese Aussage auf die Teilnehmer dann im Praxisteil haben würde, ahnten wir da noch nicht.
Wie erreiche ich nun ein Wissen darüber was ich verändern will? Ich frage in Paraden nach der Durchlässigkeit jedes Gelenkes, ja, nicht nur die großen offensichtlichen, sondern bis hin zu den Gelenken, die man eigentlich gerne vergisst. Hand aufs Herz: Wer denkt jedes Mal an die Gelenke im Hufbein wenn er sein Pferd longiert?
Aber genau darauf stimmte uns Dörte in der Theorie ein. Wie erreiche ich mit einer Sechszehntel Paraden mein Pferd. Was genau ist das? Wie fühlen sich diese an? Und was erfahre ich, wenn ich dieses leichte Vibrieren am Zügel/ Kappzaum einsetze und mein Pferd es nicht durchlassen kann? Wo muss ich genau hin spüren? Was sagt mein Körper überhaupt aus? Mit diesen Fragen im Kopf ging es in die Praxis.
Ab hier werden es eher meine persönliche Erfahrung die ich weitergeben möchte: Mio und meine Hausaufgabe war den Knoten platzen lassen und das Vorwärts zu finden. War ich nun stolz und begeistert, dass mein Pferd nun zügig mit mir durch die Halle schritt und ich die Woche zuvor von Marius das Lob bekam, dass er das Vorwärts nun annimmt, hatte ich leider vor lauter Vorwärts mein Pferd in ein Rückwärts gebracht. Mio ging zügig schob sich aber weit über seinen Schwerpunkt hinaus mir direkt in meine Hand.
Sechszehntel Parade ignorierend, seinen Fokus auf etwas, dass er dachte abspulen zu müssen, konnte ich ihn nicht mit meinem Körper auffangen. Das gleiche bei der Arbeit im Stand. Auch hier lehnte er sich sanft in meine Hilfen und entzog sich dem Vorwärts in dem er quasi sein Programm der Arbeit im Stehen abspulte. Tja, genau DAS ist aber keine Parade. Ich kam ja nicht zum Spüren und kommunizieren, sondern verhinderte quasi nur Mios Vorhaben. Entsprechend verwirrt über diese Entwicklung und über das warum verließen wir die Halle.
Als ich mir dann nach der Arbeit Notizen und Gedanken machte, fiel mir auf was passiert war: Mio hatte mich komplett gespiegelt. ICH wollte zeigen, wie toll WIR vorwärts können. ICH wollte zeigen wo die Probleme bei der Arbeit im Stand sind. ICH wollte Fragen zu der Abstellung oder Überbiegung haben. Und genau das hat Mio ausgedrückt. Wir sind ein Team, er inzwischen so sehr mein Spiegel, dass er durch die Halle hastete um „abzuliefern ohne Gefühl“. Er war ich. Eine erschreckende Tatsache. Oder sollte sie mich freuen?
Während der Arbeit der anderen Teilnehmer ging Dörte immer wieder auf Fragen ein und stellte ganz klar da, was nun mal so ist:
- Wenn mein Pferd sich beim Treiben mit der Gerte nicht durch Körper/ Sitz/ Energie/ Mini-Paraden auffangen lässt, habe ich es anstatt zum Tragen zum Schieben gebracht.
- Die Gerte sollte weniger als Tempo-Element, sondern als ein formendes und als ein zum Schwerpunkt hin arbeitendes Hilfsmittel genutzt werden.
- Wenn das Pferd das Falsche mit der Gerte versteht und wir unsere Hilfengebung verstärken, dann verstärken wir somit das Falsche.
- Der Rahmen entsteht in unserem Körper.
- Schon das Führtraining mit (richtigem) Anhalten bringt das Pferd zur Hinterhand und zum Beugen der Gelenke.
- Die Schulparade ist das Ergebnis der Schulung der Paraden, und kann somit nicht wie einen Zirkustrick erlernt werden.
- Wir unterscheiden die Paraden in die Sechzehntel Aufmerksamkeit, Auffangen von Energie und Vorbereitung zur ein Achtel Parade Lösen, Stellen, und damit Biegung erzeugen, ein Viertel Formen und Schicken der Körperteile, eine Halbe führen die Hinterbeine unter den Schwerpunkt, eine Dreiviertel Parade verwahrt das Pferd mehr auf der Stelle, der Takt bleibt erhalten, die ganze Parade welche in der Campagnenreiterei zum Halten verwendet wird, verlagert in der Fortgeschrittenen-Arbeit das Gewicht des Pferdes auf die Hinterhand und bringt es zur Bewegungen auf der Stelle sowie die geschulte Parade die zum Senken der Hanken führt.
- Kann ich mein Pferd mit einer Sechzehntel Parade nicht auffangen, so schieben wir es mit einer Achtel Parade nur auf die Vorhand.
- Wir schulen das Pferd immer, nicht nur im Schulschritt.
- Arbeite ich an Lektionen oder an deren Inhalten?
- Womit stärke ich meine Arbeit? Worauf muss ich meinen Fokus richten?
- Kann ich meine Handlungen und meinen Fokus trennen?
- Womit kann ich meine Arbeit überprüfen? Was kann ich weglassen?
- Überprüfe je nach Ausbildungsstand mit den drei Descentes! Kann Hand ohne Bein? Kann Bein ohne Hand? Können beide in jeder Kombination miteinander? Kann es ohne Hand und Beineinwirkung? Was darf weggelassen werden? Was stört oder verwirrt sogar?
- Wie sieht mein Pferd die Gerte? Es ist eine Verlängerung meines Körpers. Also müssen wir achtsam damit umgehen.
- Eine ganze Parade muss nicht mehr Druck oder stärker sein, sondern wird eher „länger“ gegeben. In diesem Fall der Parade vom Minimalismus eher Richtung Maximalismus denken. Die Kunst hierbei ist, dass das Pferd nicht gegen uns drückt, auch wenn es eine längere Zeit den Kontakt erfühlt.
- Immer wieder daran denken, alles was das Pferd tut, ist in ihm drin. Wir müssen nur wissen wie wir ihm erklären, welche Bewegungsabläufe wir uns wünschen und welche sich eher ungünstig auf das Reiten auswirken werden. Ein schönes Bild war das des „Türen öffnen oder schließen“. Was muss alles „kanalisiert“ werden, damit die Energie da raus kann, wo sie hin soll. Wo soll sie überhaupt hin? Was möchten wir erreichen?
- Wenn das Pferd in die Hand drückt, ist ein Gegendrücken keine Hilfe, sondern fordert uns auf, zu überlegen wo es herkommt und wie wir es abstellen können.
Alle diese Themen wurden aufgegriffen, Dörte wurde nicht müde sie jedem einzelnen immer wieder zu erklären oder zu zeigen wie es geht. Ein Rat von ihr war noch, uns mit Hilfe von Filmmaterial immer wieder zu überprüfen! Was ist Realität? Wie viel unseres Gefühls ist Fiktion?
Vor meiner nächsten praktischen Einheit half Dörte mir mit Hilfe einer Übung meine Hände und meinen Körper zu schulen. Ich nahm ihre Hände, die den Pferdekopf darstellten in die meinen, mit Hilfe meiner Paraden spürte ich in ihren Körper, um die Geschmeidigkeit zu erfühlen und die Bewegungsrichtung meiner Impulse – ausgehend aus meinem Körperschwerpunkt – über meine Hand spezifischer durch den Pferdekörper leiten zu können, um den Unterschied der echten Paradengebung oder ein in das Pferd schieben zu erspüren. Eine für mich unheimlich hilfreiche Übung, da Dörte perfekt analysieren konnte wo ich bei meiner Paradenarbeit hake und wie ich es abstellen kann. Mit diesem Gefühl ging es in die zweite Einheit, in der ich durch Korrekturen in der Technik, aber auch mit mehr gesammelten Fokus Mio im Stand von innen und außen arbeiten konnte. Eine so verblüffende Erkenntnis, dass ich nur so wenig machen muss und er so fein antwortet. Mein Merksatz nach dieser Art der Arbeit: Wenig aber präzise, nicht was muss ich mehr machen, sondern überprüfe was stört! So war das Ende des Führstricks, welches über Mios Rücken hing, für Ihn schon Zeichen genug mit der Kruppe nicht zu mir zu schwingen. Ein von mir nicht geachtetes, weil nicht im Fokus befindliches Arbeitsutensil, war ihm eine Hilfe geworden. In dem Moment wurde mir mal wieder so deutlich, dass wir halt nicht „nicht“ kommunizieren können. Für die Pferde ist alles was wir tun Sprache. Zumindest wenn wir sie auffordern, voll und ganz bei uns zu sein.
In der Theorie am zweiten Tag wurden viele Fragen die am Vortag entstanden sind beantwortet und verschiedene Lösungsansätze besprochen. Was ist bei körperlichen Einschränkungen zu beachten?
Die Arbeit der Gelenke bei Pferden mit Spat oder Arthrose ist wichtig, damit die Gelenke weiterhin mit Nährstoffen versorgt werden. Was bietet mir mein Pferd an „Zuviel“ an? Woher kommt das „Zuviel“ und mit welchen Übungen bekomme ich es in ein Gleichmaß? Einem Pferd welches sich zu viel aufrichtet, muss ich eher die Oberlinie lösen als eines was mit der Nase im Sand schlurft. Einen festen Körperteil zu lösen ist oft einfacher als ein Gelenk oder eine innere Einstellung zu stabilisieren.
Welche Möglichkeiten bietet mir die Reitkunst? Der Sinn der Reitkunst besteht nicht darin kleine Kopien einer anderen Person zu sein, sondern mit seinen Stärken und Schwerpunkten etwas zum Facettenreichtum der Reitkunst beizusteuern. Jeder kann was Besonderes, aber was passt zu mir?
Wie möchte ich mein Pferd arbeiten? Wo hole ich Pferd und Schüler ab? Welche Bedürfnisse haben Beide? Was gibt das Leben vor? Einem Pferd welches seine Grundbedürfnisse nach Fressen, Bewegung und mit dem Kumpel sein nicht befriedigen kann, muss ich in der Zeit mit dem Menschen etwas anderes bieten als einem welches relativ naturnah gehalten wird. Der Trainer wird hier zum Dolmetscher. Also muss ich schauen welcher Trainer passt zu mir? Brauche ich eher einen „Gegenspieler“ meiner Bedürfnisse, um, ähnlich wie in der Pferdeausbildung, in der Umkehr zu arbeiten? Will ich mehr Technik lernen oder das große Ganze verstehen? Was erwarte ich von einer Fortbildung? Mit diesen Fragen im Kopf habe ich Mio zu unserer letzten Einheit an diesem Wochenende fertig gemacht. Jeder kann was Besonderes…
Während ich vor und mit Mio an der Hand im Trab gearbeitet habe, wurden wir immer mehr zu dem Paar, welches ich sonst kenne. Durch die „Technik- Aha“-Erlebnisse der vorigen Einheit und der „Zuhör“-Erfahrung aus der ersten entstand nun ein sehr klares Bild von dem was ich wollte und zu dem wie ich es erreichen kann und wie ich es wieder abrufe. Ein riesen Puzzleteil ist für mich in dieser Einheit greifbar geworden. Ich komme dazu, dass was ich fühle mit dem was ich tue benennen zu können, es ist reproduzierbar. Und um es zu reproduzieren brauche ich nicht nur Technik. Aber es geht auch nicht nur mit Intuition. Reitkunst ist ein Verschmelzen aus Wissen, Gefühl, Wahrnehmung, Koordination, Fokussierung und Loslassen, Emphathie und wird so zu sichtbar gewordener Liebe❤